Am 9. Juni und am 6. Juli 2017 wurden in Moers, wie schon in den vergangenen Jahren, Stolpersteine verlegt. Der Verein „Erinnern für die Zukunft“ und die „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ trafen wiederum gemeinsam die Vorbereitungen. Für jeden der zehn Stolpersteine haben Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulen und Schulformen ein kleines Programm mitgestaltet. An einigen Orten nahmen auch Familienangehörige der Opfer teil.
Der Trompeter John-Dennis Renken, derzeitiger Moerser „Improviser in Residence“, begleitete die Verlegungen am 9.Juni mit musikalischen Improvisationen, die jeweils die Atmosphäre einfühlsam aufnahmen.
Am 9. Juni 2017 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig, der Begründer des Stolperstein-Projekts, selbst neun Steine. Ein zehnter wurde am 6. Juli enthüllt.
An der Rheinberger Str. 33 (Innenstadt) wurden vier Mitglieder der jüdischen Familie Cahn geehrt, die dort gewohnt hatten. Sabine Cahn (geb. 1865) und ihre Töchter Alma (geb. 1891) und Betty (geb. 1888) lebten dort bis zu ihrer Deportation nach Riga (1941), wo sie ermordet wurden. Die Tochter Dr. Ida Cahn (geb. 1895) arbeitete zuletzt als Ärztin im jüdischen Krankenhaus in Berlin. Als sie von der bevorstehenden Deportation ihrer Mutter und Schwestern erfuhr, setzte sie bei den Behörden durch, selbst mit auf den Transport nach Riga zu kommen. Von dort wurde sie 1944 in das KZ Stutthof gebracht und dort ermordet.
Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Adolfinum trugen Fakten über das Leben und den Tod der Familie Cahn vor.
Der Postinspektor Otto Preul (geboren 1878) wohnte in der heutigen Hopfenstraße 28 (Innenstadt). Er bekundete seine Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus durch wiederholte kritische Äußerungen. Dies führte 1944 zu seiner Verhaftung. Er starb am 15.09.1944 im Moerser Polizeigefängnis angeblich durch „Freitod“. Die genaueren Umstände wurden nie geklärt.
Für die Nachkommen Otto Preuls, von denen einige anwesend waren, bedeutet die Stolpersteinverlegung, dass sie nach langen Jahren des Schweigens in der Familie ihren Großvater nun „in einem anderen Licht betrachten“ können, wie eine Enkelin Preuls erklärte. Schülerinnen und Schüler des Mercator-Berufskollegs verlasen ein selbstverfasstes Gedicht und entnahmen einer Kiste „Flaschenpost“ mit Botschaften und Informationen, die auch nach über 70 Jahren für die Nachwelt bedeutsam sind.
Der Stolperstein für den Landwirt Heinrich Laakmann (Jg. 1878) wurde in der heutigen Bonifatiusstr. 47 in Moers-Asberg verlegt, wo sich früher der Bauernhof der Familie befand. Laakmann gehörte zu der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die aus Glaubensgründen grundsätzlich politische Betätigungen, u.a. Wahlen, den Wehrdienst und den Hitlergruß, verweigerten. Dies führte zu härtesten Verfolgungsmaßnahmen. Heinrich Laakmann wurde 1937 festgenommen und zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Nachdem er diese verbüßt hatte, wurde er in das KZ Sachsenhausen überführt, wo er am 30.03.1940 an Entkräftung starb. Sein Sohn Peter Laakmann, der wie sein Vater wegen der Verbreitung von Flugblättern verurteilt worden war, überlebte das KZ Buchenwald.
Fünf Schülerinnen der 4. Klasse der Grundschule Eschenburg sangen das Lied „Der Wind“, das die verzweifelte Stimmung von Menschen ausdrückt, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben.
Der 1905 geborene Bergmann Jakob Wolff wohnte mit seiner Familie in der Römerstraße 438 in Moers-Asberg. Er wurde schon 1933 wegen seiner KPD-Mitgliedschaft in Schutzhaft genommen, 1935 erneut verhaftet und im Januar 1936 mit weiteren 80 Mitangeklagten im Jahny-Prozess wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 6 Jahren Zuchthaus in Butzbach verurteilt. 1943 kam er ins Strafbataillon 999 und ist am 6.02.1945 bei Magdeburg gefallen.
Zwei Schülerinnen der 9. Klasse der Geschwister-Scholl-Gesamtschule würdigten ihn, indem sie zum einen sein Leben eingehend beschrieben und zum anderen den allgemeinen Widerstandskampf der Kommunisten gegen das nationalsozialistische Regime erläuterten.
Katharina Wöllenweber und Erich Pausewang wurden zunächst in die Heilanstalt Bedburg-Hau eingewiesen. Als im Verlauf des 2. Weltkrieges Lazarettbetten benötigt wurden, begann man systematisch, Insassen der „Heilanstalten“ zu deportieren und zu ermorden. Diese sogenannte „Aktion T4“ gehörte zum umfangreichen nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programm. („Aktion T4“ nach dem Dienstgebäude Tiergartenstraße 4 in Berlin.)
Katharina Wöllenweber, 1904 in Moers geboren, wohnte und arbeitete nach ihrem Schulbesuch als Hausmädchen in der Augustastr. 8 in der Innenstadt. Nach Aufenthalten in den Heil- und Pflegeanstalten in Kaiserswerth und Grafenberg im Jahre 1935 wurde sie im November 1936 in die Heilanstalt Bedburg-Hau eingewiesen, von wo sie im März 1940 nach Jerichow verlegt wurde. Am 17. April 1941 kam sie im Rahmen der „Aktion T4“ nach Bernburg und wurde noch am selben Tag ermordet.
Schülerinnen und Schüler der Hilda-Heinemann-Schule, Förderschule für geistige Entwicklung, erläuterten anhand eines selbst gefertigten Plakates, auf das sie ein Foto von Katharina geklebt hatten, was es wohl für sie bedeutet haben mag, in einer Heilanstalt weggesperrt zu sein. In Tonaufnahmen stellten sie zudem den Unterschied zur heutigen Zeit heraus.
Erich Pausewang, geboren 1904, war Hilfsarbeiter und lebte in der Lindenstr. 106 in Moers-Meerbeck, einem Bergarbeiterviertel. Er wurde 1935 in das Landeskrankenhaus Bedburg-Hau eingewiesen, vermutlich nach einer Hirnhautentzündung. Am 2. April 1940 wurde er im Rahmen der „Aktion T4“ in die Landesanstalt Brandenburg verlegt, wo er am selben Tag ermordet wurde. An der Stolpersteinverlegung nahmen mehrere Familienmitglieder teil, u.a. Pausewangs Patensohn, Fritz Pausewang, der seinen Onkel noch in Bedburg-Hau besucht hatte und von seinen damaligen Eindrücken bewegt berichtete.
Jugendliche des Moerser SCI Jugendsozialzentrums erkundeten Pausewangs Schicksal mit selbst verfassten Texten, u.a. einem fiktiven Interview. Des Weiteren überreichten sie ein selbst gestaltetes Bild mit einer Erde im Weltall und dem Titel „Trust 4 Life“ in dem nochmals auf die „Aktion T4“ Bezug genommen wurde. Zum Abschluss wurde gemeinsam das Moorsoldatenlied gesungen.
Am 6. Juli 2017 wurde in einer gesonderten Stolpersteinverlegung der Bergmann Friedrich Jirsak, Jahrgang 1885, geehrt. Er heiratete eine Kriegswitwe mit drei Kindern und wohnte mit seiner Familie in Repelen-Rheim, Lauffstr. 9. Im Mai 1935 wurde er wegen seiner KPD-Mitgliedschaft verhaftet und im „Jahny-Prozess“ wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Nach Freispruch im Januar 36 wurde er im Oktober erneut verhaftet und durch die Gestapo im Kreuzverhör schwersten körperlichen Misshandlungen unterzogen. Von der anschließenden Gefängnishaft kam er im Februar 1937 als gebrochener Mann zurück und ist am 4. Januar 1940 an den Spätfolgen verstorben. Sein Stiefsohn Fritz Menzel war ebenfalls als KPD-Mitglied im Widerstand und wurde im Rautenberg-Prozess 1935 zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt.
Zunächst verlasen und erläuterten Schülerinnen und Schüler der GGS Lindenschule die Menschen- und Grundrechte. Anschließend ehrten Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b des Gymnasiums Rheinkamp Friedrich Jirsak (von dem leider nicht viel Persönliches bekannt ist), indem sie ihm fiktive Briefe zu entscheidenden Ereignissen wie Heirat, Verhaftung und Tod schrieben und so sein persönliches Leben in einen geschichtlichen Kontext stellten.
Der musikalische Rahmen wurde durch Tom Gerstenberger gestaltet.
Rita Hauffe, Renate Irle („Erinnern für die Zukunft“, Moers)
Weitere Informationen https://erinnernfuerdiezukunft-moers.de/verein/unsere-arbeitskreise/stolpersteine/