Aktuelles
03.07.2016
Besuch aus der Ukraine vom 23. bis 30. April 2016

Rückblick des Vorsitzenden B. Schmidt


Für die Aktiven des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ barg die Einladung von 11 Gästen aus der Ukraine mehrere Risiken: Würde Volodja, unser bewährter Mann „vor Ort“, es schaffen, dass alle Gäste ein Visum bekommen? Werden wir uns mit der „zweiten Generation“, den Kindern ehemaliger Zwangsarbeiter, etwas zu sagen haben oder wollen sie eigentlich lieber als Touristen zu uns kommen? Dazu ein Risiko, auf das wir sicher nicht noch einmal eingehen wollten: zwei unserer Vorstandsmitglieder bürgten gegenüber der Ausländerbehörde mit ihrem eigenen Vermögen für die 11 Gäste…

 

Die Rose zur Begrüßung für jeden der Gäste bei der Ankunft musste eigentlich nicht mehr viel Eis brechen, denn vielfach kannte man sich schon. Es waren überwiegend die Kinder ehemaliger Zwangsarbeiter/innen – mittlerweile selbst 60-70 Jahre alt –, deren Vater oder Mutter schon vor Jahren bei ihrem Besuch am Niederrhein einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten. Deren Schicksale sind ausführlich in „Moers unterm Hakenkreuz“ dokumentiert.

 

Larissa berichtete in zwei Gymnasien davon, wie ihre Mutter [im Buch: Soja Dmitrijewa-Omel¬tschuk ], die uns schon 1999 eindringlich den Massenmord an den Juden von Starokonstan¬tinov auf Band geschildert hatte, zeitlebens darunter litt, dass sie damals viele Nachbarn, Freundinnen und ihren Lieblingslehrer verloren hatte. Sie sang für uns ein schwermütiges Lied – wie schon ihre Mutter damals auf dem Friedhof Lohmannsheide. Larissa aus Dnjepropetrovsk – heute Frontstadt gegenüber Donezk und Lugansk – berichtete vom Tod ihres hochbetagten Vaters vor wenigen Monaten [Nikolai Ogijenko], der mehrere Bücher geschrieben hatte und mit seinen so treffenden Worten unserer Dokumentation „Moers unterm Hakenkreuz“ vorangestellt war. Irina aus Lemberg mahnte [Tochter von Mykola Indutnyj], mit Blick auf die wechselvolle Geschichte ihrer Heimatstadt und den Krieg heute, in den Schulen eindringlich zu Frieden und Toleranz – und kam damit bei den Jungen auch sichtlich gut an. Vera aus Schpola brachte noch Dokumente aus dem Krieg mit. Bei der kleinen Gedenkfeier auf dem Friedhof Lohmannsheide versagte der Tochter von Jakiv Selenjuk die Stimme: die Straße durch den Friedhof an den „Russengräbern“ vorbei ist nach ihrem hier ermordeten Onkel Nikolai Martynenko benannt.

 

Nadja aus Sumy besuchte den Verdonschot-Hof in Budberg, wo es der Vater [Grigorij Soroka] im Krieg sehr gut hatte. Mit ihr wurde im Moerser Schloss ein Foto an der Stelle wiederholt, wo Bürgermeister Brunswick 1996 in der guten „Grafschafter Stube“ ihren Vater mit einer ersten Gruppe ehem. Zwangsarbeiter empfangen hatte. Olena aus Sdolbuniv brachte für ihre noch lebende, aber nicht mehr reisefähige Mutter [Tatjana Podgaiska] einen Ruzhnik, ein selbstgesticktes Tuch, mit zum Gottesdienst nach Orsoy – in Wiederholung des Besuchs ihrer Mutter von 1998. Valentyna, deren Familie wir schon in Poltawa besucht hatten [Olga Sheijko], konnte sich in der Nähe des belgischen Eupen mit dem Sohn des damaligen Bauern treffen, nachdem endlich die Verwechslung von „Alpen“ und „Eupen“ geklärt war…

Und der Berichtende selbst hatte das wunderbare Erlebnis, Wassili [Pilipenko] auf den früheren Hof seines Vaters nach Alpen-Veen zu begleiten, wo sich der Sohn des Bauern auch noch des Namens Pilipenko erinnerte. Dabei gab es auch eine schöne historische Klärung: Vater Pilipenko hatte vor seinem Tod ein heftiges Loblied auf seinen Bauern am Niederrhein gesungen, das allzu sehr nach späterer Verklärung klang. Der Sohn jetzt aber: „Nein, mein Vater war so, er half ihnen allen – er konnte nicht anders“. Und auch der Großvater, der damals gern „Feindsender“ gehört hatte, war deutlich gegen Hitler…

 

Vera Shutova (82) aus dem heute umkämpften Donezk und Anna Strizhkova (75) aus Kiew brachten selbst noch aus dem Krieg Erfahrungen mit, die alle an ihren Lippen hängen ließen. Vera leistete als 10-12Jährige Zwangsarbeit in einer Fabrik – Mutter und vier Geschwister mitverschleppt. Und Anna, die selbst als Kleinkind die Auschwitz-Nummer eingebrannt bekam, weiß nicht, warum ihre in Auschwitz ermordete Mutter dorthin gekommen ist.

Beide Frauen sind seit Jahrzehnten an der Spitze der NS-Opferorganisationen ihrer Städte aktiv und bringen eine Persönlichkeit mit, die jedem Achtung abnötigt, der ihnen begegnet.

 

Schade, dass die gemeinsame Zeit so schnell vorbei war. Wir hätten doch noch so viel über die heutige Ukraine erfragen wollen. Ob es denn von hier aus gelingen wird, den so herzlich ausgesprochenen Gegeneinladungen zu folgen?

 

Und danke allen, die diese Begegnung so gut vorbereitet haben und dann zum Teil noch eine Woche lang rund um die Uhr im Einsatz waren. Danke auch unserem neuen Ehrenmitglied Volodja, der die Gruppe leitete und immer unermüdlich dolmetschte. Und danke dem Bürgermeister, den Schulen, dem Energieversorger ENNI und dem Russischkurs der VHS, die die Gäste so freundlich zu sich einluden.

 

Ein herzliches Dankschön für die finanzielle Unterstützung aber auch den Stiftungen „Erinnern, Verantwortung, Zukunft“ und „West-Östliche Begegnungen“, der Sparkasse am Niederrhein, dem Kreisverband Wesel der Lehrergewerkschaft GEW und dem Kreis Wesel.

 

Ihre damit verbundene Anerkennung für die völkerverbindende Arbeit des Vereins tut gut.

 

Bernhard Schmidt,

Vors. „Erinnern für die Zukunft“